Schon bei der Hymne sorgte die Frauenmannschaft Nordfrieslands für Aufsehen. Zur friesischen Version des Die Toten Hosen-Hits „An Tagen wie diesen“ lockerten Cheerleaderinnen die Reihe der Spielerinnen auf und schwenkten ihre gold-rot-blauen Glitzerpuschel.
Die kamen dann erst recht nach dem Schlusspfiff zum Einsatz, als die zahlreichen friesischen Fans den Platz stürmten und ihr Team für den 2:0-Halbfinal-Sieg über die leicht favorisierten Südschleswigerinnen feierten. Glücklich schloss Stefanie Hansen ihre Tochter in die Arme. „Ich finde es einfach gigantisch, dass sie jetzt auch dabei ist“, sagte sie. Vor 16 Jahren bei der allerersten EUROPEADA stand Hansen selbst auf dem Platz.
Wie die Mutter, so die Tochter – Stefanie Hansen aus Nordfriesland
„Über die Zeitung wurden Spielerinnen für eine Frauenmannschaft gesucht“, sagt Hansen. „Da ich damals noch aktiv gespielt habe, habe ich mich angemeldet. Zwei meiner Cousinen waren auch dabei.“ Dass sogar die Tagesthemen der ARD dem Auftritt der Nordfriesinnen in Graubünden einen fünfminütigen Beitrag widmeten, lag an einem besonderen Clou: sie waren die einzige Frauenmannschaft unter den siebzehn teilnehmenden Teams. „Wir hätten auch eine Herrenmannschaft stellen können“, sagt Ilwe Boysen, der damals als Zeugwart dabei war. „Das Regelwerk war damals nicht eindeutig, deshalb haben wir eine Damenmannschaft geschickt, um zu zeigen, dass wir Friesen emanzipiert sind.“
Die Spiel-Ergebnisse waren verheerend, aber wichtiger war sowieso etwas anderes: „Wir waren die Sieger der Herzen“, sagt Hansen. Auf und neben dem Platz hatten sie jede Menge Spaß und Begegnungen. „Sie waren alle fasziniert von uns, weil wir uns das trauten. Wir hatten dort viele, viele Fans.“ Neben Hansen und Boysen war auch Frank Nickelsen 2008 schon dabei. Der heutige Geschäftsführer des Friesenrates organisierte damals als Generalsekretär der FUEN dieses Pilot-Turnier. Ein eigenes Frauenturnier gibt es auf der EUROPEADA seit 2016.
Kleine Minderheit, großes Herz – Moreno Nicolussi Paolaz aus Lusern
Am Mittwoch, beim Kulturtag auf dem Knivsberg, gab es die Gelegenheit, weitere EUROPEADA-Pioniere kennenzulernen. Am Stand der Zimbern stand Moreno Nicolussi Paolaz und schnitt Käsehäppchen und Salamischeiben zum Probieren ab. Ein leckeres Bier hatte die zahlenmäßig kleinste der hier vertretenen Minderheiten auch mitgebracht. Sie stammt aus der nur 250 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Gemeinde Lusérn, die 40 Kilometer südöstlich von Trient liegt und eine von 17 deutschen Sprachinseln in Oberitalien ist. Dort sprechen die Menschen Zimbrisch, eine ursprünglich bairisch-tirolerische Mundart.
„Zimber zu sein, hat man im Herzen“, sagt Paolaz. „Es ist für uns sehr wichtig, diese kleine Sprache, diese kleine Minderheit weiterzuführen.“ An die erste EUEOPEADA von 2008 hat er wie an die Folgenden durchweg gute Erinnerungen. „Jede EUROPEADA und jedes Spiel, an dem man teilnimmt, hat etwas Besonderes, das es unvergesslich macht.“ Deshalb sei es schwer, einen einzelnen Moment aus den sechzehn Jahren hervorzuheben. „Die EUROPEADA gibt uns die Möglichkeit, die eigene Kultur mit den anderen Minderheiten zu teilen, aber gleichzeitig auch etwas von den anderen Minderheiten zu lernen. Also Essen und Trinken zu teilen und dafür etwas zurückzubekommen.“
Die Punkte gingen bei den Spielen der Zimbern zwar immer nur in eine Richtung – zu den Gegnern. Aber der Ehrgeiz von Poalaz, der mittlerweile auch der Präsident des Teams ist, ist ungebrochen. „Wir hatten noch nie so viele junge Spieler dabei, die uns die Hoffnung geben, eine gute und starke Mannschaft aufzubauen.“
Die mit Stolz und Freude den Adler tragen – Martin Ritsch aus Südtirol
Während die Zimbern ihr Team aus 250 Menschen insgesamt zusammenstellen müssen, gibt es bei ihren Fast-Nachbarn in Südtirol allein tausende Fußballerinnen und Fußballer. Einer von ihnen ist Martin Ritsch, Kapitän des bislang immer siegreichen Männerteams der Südtiroler.
„Beim ersten Mal war ich mit 20 Jahre einer der Jüngeren, mittlerweile bin ich fast der Älteste“, sagt er. „Jede EUROPEADA hat ihre eigene Geschichte.“ Besonders ist ihm aber die Heim-EUROPEADA 2016 in Südtirol in Erinnerung geblieben. „Da hat auch unsere Damenmannschaft den Titel geholt und wir hatten sehr viele Zuschauer, die uns unterstützt haben.“ Vom letzten Turnier in Kärnten sind ihm vor allem die Begegnungen mit den anderen Teams rund um den Klopeiner See in Erinnerung. In diesem Jahr seien die Entfernungen zwischen den Spielorten und Quartieren teilweise sehr weit, sodass es weniger zu spontanen Begegnungen mit anderen Teams komme. Dafür umso mehr mit den Einheimischen in Nordfriesland.
„Die Leute hier sind alle sehr freundlich und offen und haben uns superherzlich willkommen geheißen. Auch in dem Restaurant, in dem wir essen, waren alle gleich begeistert. Jeder kennt Südtirol vom Namen her und jetzt lernen sie uns auch als Menschen kennen.“ Zum ersten Mal kann Ritsch diesmal das Südtiroler Wappentier, den Adler, nicht ins EUROPEADA-Finale führen. Der Seriensieger ist überraschend im Viertelfinale gegen das Team Koroska ausgeschieden.
Am Anfang war es Zufall, heue ist es eine Familie – Tim Meyer aus Südschleswig
Ein Heimturnier bestreitet in diesem Jahr nach vier Auswärtsturnieren Tim Meyer aus der Auswahl Südschleswigs. Auch er hat eine besondere Erinnerung an die EUROPEADA 2022 bei den Kärtner Slowenen. „Dort habe ich mein 50. Spiel für Südschleswig gemacht“, sagt er. Seine erste Teilnahme 2008 war eher dem Zufall geschuldet. „Ich war da nicht so direkt auf dem Schirm, aber dann hat sich einer der Stürmer verletzt und ich wurde kurzfristig gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mitzukommen.“ Daraus wurde eine große Bereicherung fürs Leben. „Was man hier erlebt hat und die Freunde, die man gefunden hat - das ist einfach unfassbar, das kann man gar nicht beschreiben. Das fühlt sich an, als ob man eine ganze große Familie ist.“
Im Vergleich zu den ersten Turnieren sei alles ein bisschen professioneller geworden und das fußballerische Niveau gestiegen, aber der Spirit habe sich nicht verändert. „Die Minderheiten unterstützen sich und es gibt keinen Streit untereinander. Alle freuen sich, dass sie hier sind und dieses Erlebnis haben.“
Ein Mitspieler Meyers im Südschleswiger Team von 2008 trägt übrigens maßgeblich zum Gelingen dieses Turnieres bei: Europeada-Projektleiter Ruwen Möller war damals als Spieler in der Schweiz am Start.
Text: Ralf Lorenzen