Die vier anerkannten Minderheiten in der deutsch-dänisch-friesischen Grenzregion
„Heimat ist das, was gesprochen wird“ – so lautet der Titel einer Rede der rumänisch-deutschen Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Herta Müller. Dieser Satz trifft auch auf die deutsch-dänisch-friesische Grenzregion zu. Hier pflegen vier Volksgruppen ihre Muttersprache seit vielen Jahrzehnten auch als Minderheiten weiter.
Zweisprachigkeit als Bereicherung
Bei der großen Bedeutung der Sprache für ihre Identität ist es kein Wunder, dass ein Hauptaugenmerk der Nordschleswiger*innen, Südschleswiger*innen, Nordfries*innen und Sinti und Roma darin liegt, das Deutsche, Dänische, Friesische und Romanes lebendig zu halten - in der Familie, aber auch in der Schule, in der Kirche, in Vereinen, in Behörden und anderen öffentlichen Bereichen. Sie erleben ihre Zweisprachigkeit als Bereicherung – und wünschen, dass die Mehrheitsbevölkerung dies auch tut.
Bei der letzten EUROPEADA in Kärnten konnte man beispielsweise erleben, wie die Spieler Südschleswigs auf dem Platz deutsch, aber in der Öffentlichkeit dänisch sprachen. „Es ist ein großes Geschenk für einen jungen Menschen, in zwei Kulturen aufzuwachsen“, sagt der Europeada-Botschafter Mads Buttgereit.
In Deutschland sind neben den Genannten auch die Sorben durch die Rahmenkonvention des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten und durch die Charta zum Schutz von Regional- und Minderheitensprachen als Minderheit anerkannt. In Dänemark ist die deutsche Volksgruppe die einzige anerkannte Minderheit.
Die deutschen Sinti und Roma – langer Kampf um Anerkennung und Bürgerrechte
Wenig in der Öffentlichkeit sichtbar ist das Romanes - die Sprache der Sinti und Roma. Die Angehörigen dieser Volksgruppe, die seit über 600 Jahren in Deutschland beheimatet ist, wurden über die Jahrhunderte immer wieder verfolgt und vertrieben. Während der Zeit des Nationalsozialismus, in der 500 000 europäische Sinti und Roma ermordet wurden, haben Rassenforscher ihre Sprache gelernt, um sie besser befragen und aushorchen zu können. Für viele Sinti und Roma ist das Romanes bis heute ein Schutzraum, den sie nur sehr behutsam preisgeben.
Anhand der Verwandtschaft des Romanes mit dem indischen Sanskrit wird vermutet, dass die Sinti und Roma ursprünglich aus Indien stammen. „Sinti“ bezeichnet die in Mitteleuropa seit dem ausgehenden Mittelalter beheimateten Angehörigen der Minderheit, „Roma“ jene ost- bzw. süd-osteuropäischer Herkunft. Ende der 1970er Jahre entstand die Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti und Roma, die anfangs noch um die Anerkennung des Völkermordes an ihrer Minderheit kämpfen musste. Heute stehen das Eintreten für Minderheitsrechte und kulturelle Teilhabe sowie die Erinnerungsarbeit im Vordergrund.
Sitz des 1982 gegründeten Zentralrats sowie des Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma ist Heidelberg. Dem Zentralrat sind zahlreiche Landesverbände angeschlossen - wie der Landesverband Schleswig-Holstein mit Sitz in Kiel.
Die deutsche Minderheit in Dänemark – mit eigenem Berg
Der im Süden von Dänemark beheimateten deutsche Minderheit gehören rund 15.000 Menschen an. Sie bildete sich nach der Volksabstimmung und daraus resultierenden Grenzverschiebung 1920 aus den Bewohnern Nordschleswigs, die deutsche Wurzeln hatten und sich deutsch fühlten. Heute ist die deutsche Minderheit ein integrierter Teil der dänischen Gesellschaft. Ihre Hauptorganisation ist der Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN), dessen Generalsekretariat in Apenrade sitzt. Die Minderheit unterhält eigene Kindergärten, Schulen und Bibliotheken, wo auch Dänen und Däninnen willkommen sind.
Darüber hinaus leistet die Minderheit kirchliche und soziale Arbeit, gibt eine eigene Tageszeitung heraus und bietet in vielen Vereinen kulturelle und sportliche Aktivitäten an. Die politische Vertretung ist die Schleswigsche Partei, die in den Gemeinderäten von Tondern, Sonderburg Apenrade und Hadersleben vertreten ist. Kulturelles Zentrum ist die Bildungsstätte auf dem 97 Meter hohen Knivsberg.
Die dänische Minderheit in Deutschland – mit Sitz im Bundestag
Ein ähnliches Ausgabenfeld hat auch die dänische Minderheit in Südschleswig, das sich bis in den Kreis Rendsburg-Eckernförde erstreckt. Die kulturelle Hauptorganisation ist der in Flensburg ansässige Sydslesvigsk Forening (SSF). Zum ausgedehnten Schulsystem, in dem hauptsächlich auf dänisch unterrichtet wird, gehören auch die beiden Gymnasien in Flensburg und Schleswig. Die Partei der Minderheit, der Südschleswigsche Wählerbund (SSW) ist neben Gemeinde- und Stadträten sowie Kreistagen auch im schleswig-holsteinischen Landtag und mit einem Sitz im Deutschen Bundestag vertreten.
Kultureller Mittelpunkt ist die Norderstraße in Flensburg mit dem Flensborghus Aktivitetshuset, und der dänischen Zentralbibliothek. Festlicher Höhepunkt ist in jedem Frühsommer das Jahrestreffen „Årsmøder“ mit einer Vielzahl von Diskussionsforen, Grillabenden und Familienfesten sowie großen regionalen Volksfesten. Dannebrog, die dänische Flagge, ist allgegenwärtig.
Die Friesische Volksgruppe – mit einem eigenen Institut
Im Kreis Nordfriesland leben etwa 160 000 Menschen. Davon bekennen sich ca. 50 000 als Friesen. Weniger als 10 000 sprechen noch aktiv Friesisch in unterschiedlichen Dialekten. Weitere Fries*innen in Deutschland leben im nordwestlichen Niedersachsen und im Saterland (Landkreises Cloppenburg). Außerhalb Deutschlands gibt es noch die Westfriesen, die in den Niederlanden heimisch sind.
Mit dem Friesisch-Gesetz hat der Schleswig-Holsteinische Landtag 2004 beschlossen, das Friesisch ist im Kreis Nordfriesland und auf Helgoland die zweite im Amtsgebrauch und vor Gericht zugelassene Sprache ist. In Nordfriesland kann man die sprachliche Heimat der Bewohner auch sehen: die Ortschilder sind zweisprachig - so steht unter Niebüll beispielsweise Naibel. Zentrale Organisation ist der Friesenrat/Sektion Nord, der seinen Sitz in Bredstedt hat. Dort befindet sich auch das Nordfriisk Instituut zur Erforschung, Förderung und Pflege der nordfriesischen Sprache, Geschichte und Kultur.
Vorbildhafte Minderheitenrechte
Die Rechte und die kulturelle Unabhängigkeit der beiderseits der Grenze beheimateten Minderheiten sind im europäischen Rahmen keineswegs selbstverständlich. Umso verantwortungsvoller und freudiger nehmen sie die Gastgeberrolle der 5. EUROPEADA an und freuen sich auf ein gemeinsames Fest des Fußballs, der Vielfalt und der Demokratie.