Weit vor Spielbeginn betritt das dänische Schiedsrichterteam das Manfred-Werner-Stadion in Flensburg-Weiche. Eingerahmt von ihren Assistenten Rami Ahmed, Jørgen Lauritzen und Nikolaj Ibsen geht Jule Alsbro Thomsen von Tor zu Tor und prüft, ob die Netze richtig hängen. In achtzig Minuten wird sie hier das Frauenfinale der EUROPEADA zwischen den Teams aus Südtirol und Nordfriesland anpfeifen. „Der Vorsitzende des dänischen Fußballverbandes hat mich gefragt, ob ich hier mitmachen möchte“, sagt Thomsen. Von der EUROPEADA hatte sie vorher bereits gehört, da Freunde ihrer Eltern Mitglied der deutschen Minderheit in Dänemark sind. „Es ist ein großartiges Turnier“, sagt sie.
Jede Menge Gefühle im Spiel
Thomsen ist so etwas wie der Star ihrer Zunft bei der EUROPEADA. Vor knapp zwei Jahren stand sie im Mittelpunkt einer TV-Dokumentation des dänischen Fernsehens, in der es um die Frage ging, was junge Leute bewegt, Schiedsrichterin oder Schiedsrichter zu werden, obwohl sie in diesem Job jede Menge negative Reaktionen erfahren.
„Ich mag die Herausforderungen, die diese Rolle immer wieder mit sich bringt”, sagt Thomsen vor dem EUROPEADA-Finale. „Man hat mit allen möglichen Gefühlen zu tun - zum Beispiel, wenn Spieler frustriert sind und sich beschweren wollen.“
Ehrung nach dem Finale
In Dänemark wird die 21-jährige bereits in zweithöchsten Frauenklasse (1. Division) und bei den Herren in der fünfthöchsten Klasse eingesetzt. Das soll noch längst nicht das Ende sein. Mit 25 möchte Thomsen Fifa-Schiedsrichterin werden und irgendwann auch die höchste Männerklasse pfeifen. „Wenn ich dann gut genug bin“, fügt sie hinzu.
Bei der EUROPEADA haben ihr die drei Spiele als Schiedsrichterin und weitere vier als Assistentin großen Spaß gebracht. Eine rote Karte muss sie auch im Finale nicht zeigen, das mit 11:1 für die Südtirolerinnen ausgeht. Anschließend wird Thomsen und ihr Team stellvertretend für die über hundert bei der EUROPEADA eingesetzten Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter aus Dänemark und Deutschland ausgezeichnet.
Internationale Erfahrung
„Die Europeada bietet für unsere Schiedsrichter, die ja normalerweise in der Verbands- und Oberliga pfeifen, die Möglichkeit, auch mal internationale Spiele zu leiten“, sagt Björn Adler, der als Beisitzer im Schiedsrichterausschuss vom Schleswig-Holsteinischen Fußballverband die Schiedsrichter auf deutscher Seite akquiriert hat. „Allein die verschiedenen Charaktere, die verschiedenen Spielweisen, aber auch die Kommunikation auf dem Platz, die oft auf Englisch läuft - das sind neue Herausforderungen, an denen sie wachsen.“
Positiv bewertet Adler die Anwendung der neuen Regel, dass nur noch der Mannschaftskapitän mit dem Schiedsrichter diskutieren darf. „Das hat sich auf jeden Fall bewährt“, sagt Adler. Da diese bei der UEFA-EM erstmals angewandte Regel im Bereich des DFB noch nicht zum Einsatz kommt, kann die EUROPEADA in Deutschland als Pilotprojekt für den Amateurbereich angesehen werden. Eines möchte Adler dann noch loswerden: „Alle Schiedsrichter haben zurückgespiegelt, dass sie selten ein so gut organisiertes Turnier erlebt haben - von der Vorbereitung und der Betreuung auf dem Feld bis zur Nachbetreuung und dem ganzen Drumherum.“
Bewerbung aus Niedersachsen
Eine besondere Herausforderung stellte die zeitliche Ansetzung der Spiele mitten am Tag dar, da die Schiedsrichter in der Regel berufstätig sind oder studieren. Aber die Arbeitgeber und Schulen in der Region spielten mit und stellten sie für dieses völkerverbindenden Projekt gern frei.
Wenn dann doch kurzfristig eine Lücke zu füllen war, gab es immer noch Sascha Fricke. „Sascha war unser Held“, sagt Adler auf der Tribüne des Manfred Werner-Stadions. „Wir konnten ihn immer dort einsetzen, wo es brannte. Sascha hatte die große Bereitschaft, quer durch Schleswig-Holstein zu reisen, um dort einzuspringen, wo gerade ein Schiedsrichter-Assistent fehlte.“ Das ist umso höher zu bewerten, da Fricke gar nicht dem schleswig-holsteinischem oder dänischem Fußballverband angehört. Er lebt in Niedersachsen, wo er als Schiedsrichter in der Kreisliga unterwegs ist sowie als Assistent in der Bezirks- und Landesliga.
Von der Leidenschaft der Spieler begeistert
„Ich habe über die Berichterstattung im Nordschleswiger von diesem Turnier erfahren“, sagt Fricke zwei Stunden vor dem Herren-Finale, in dem er als Vierter Offizieller fungieren wird. „Mein Vater lebt hier in Dänemark, meine Mutter kommt aus Nordfriesland, da war der Bezug schon da. Außerdem haben mich die Minderheiten und ihre Geschichte schon immer interessiert.“ Fricke bot seine Dienste proaktiv an und sprang ein, wo er konnte. „Es war spannend, die unterschiedlichen Schiedsrichter und ihre Charaktere kennenzulernen und immer wieder neue Absprachen mit ihnen zu treffen“, sagt er, während die Spannung vor dem Finale auch bei ihm wächst.
Gefragt nach einem besonderen Erlebnis, will er gar nicht für sich sprechen, sondern hebt die Mannschaften hervor. „Es hat mich begeistert, die Teams zu erleben, die viel Zeit und Geld aufwenden, um herzukommen und mit Leidenschaft Fußball spielen. Wenn sie im Anstoßkreis die Hymnen mitgesungen haben, hat man gemerkt, was für eine Bedeutung das für sie hat.“
Das kann Sacha Fricke neben Hauptschiedsrichter Lennart Kunde und seinen Assistenten Daniel Feil und Lutz Jessen dann auch im Endspiel noch einmal aus hautnah erleben. Es gehört zu den berührendsten Momenten der EUROPEADA, als das Team Okzitaniens im Mittelkreis seines vor Kurzem verstorbenen Trainers gedachte und die Hymne acapella intoniert.