Die deutsch-dänische Grenze ist zwar noch ein paar Kilometer entfernt, aber es gibt nicht wenige, die behaupten, Dänemark beginnt schon am Nordermarkt in Flensburg. In der Norderstraße sind die Cafés hyggelig, Bücher leiht man in der dänischen Centralbibliothek for Sydslesvig aus und Fußball guckt man an diesem denkwürdigen 29. Juni im Flensborghus, dem Zentrum der dänischen Minderheit.
Gemeinsame Party bei der Geburt von Danish Dynamite
Das letzte Mal wurde hier im Januar ein Public Viewing veranstaltet, als mit Frederik X ein neuer König gekrönt wurde, der die überaus beliebte Margarethe II. ablöste. Heute wird zwar noch nicht der neue Fußballeuropameister gekrönt, aber das EM-Achtelfinale Deutschland-Dänemark elektrisiert die Menschen hier in der Grenzregion so stark, dass es kaum einen besseren Ort für gemeinsames Gucken gibt als das Flensborghus. Hier kommen seit langem beide Kulturen zusammen.
42 Jahre liegt jetzt die letzte Begegnung der Nachbarländer in einem großen Turnier zurück, das EM-Finale 1992 in Schweden. Der dänische 2:0-Sieg gilt als Geburtsstunde von „Danish Dynamite“, dem Fangesang mit dem die Dänen bis heute überall in Europa unterwegs sind. „Die Deutschen waren natürlich in der großen Mehrheit“, erinnert sich Hendrik Vestergaard an die Atmosphäre, die 1992 auf dem nahe gelegenen Nordermarkt in den Cafés und Restaurants herrschte. Vestergaard ist sogar noch im Besitz des originalen dänischen Fanhutes mit den beiden Klatschhänden. „Nach dem 2:0 für Dänemark haben die Deutschen mitgeklatscht“, sagt der Südschleswiger mit doppelter Staatsbürgerschaft. „Anschließend haben sich alle in den Armen gelegen. So ist das bei uns im Flensburg.“
Grußwort vom Vizekanzler
Die friedliche Koexistenz hier im deutsch-dänisch-friesischen Grenzland wurde auch bei der Eröffnung der Europeada am Nachmittag in der A.P. Møller -Skolen in Schleswig hervorgehoben. „Unsere Urgroßväter haben sich totgeschossen und die Köpfe eingeschlagen, wegen Sprachkonflikten wurden Kriege geführt, wegen kultureller Zugehörigkeit haben sich Nachbarn und Freunde zu Feinden und Gegnern verwandelt“, sagte der deutsche Vizekanzler und Europeada-Schirmherr Robert Habeck, der selbst aus Flensburg stammt, in einer Videobotschaft. „Aber diese Orte, wo die Schlachtfelder der Vergangenheit waren, sie sind heute Zentren der Begegnung.“
Solche Zentren der Begegnung sind auch die A.P. Møller-Skolen und das Flensborghus. Zur Eröffnung des dänischen Gymnasiums reiste Königin Margarethe 2008 gemeinsam mit dem Stifter der Schule, dem Reeder Mærsk Mc-Kinney Møller, in Schleswig an. Dass sie vom gleichen Architekten entworfen wurde wie das Opernhaus in Kopenhagen, sieht man dem großzügigen und ästhetisch ansprechenden Bau an. Genutzt wird er längst nicht nur als Schule, sondern als Kulturzentrum für alle Bewohner. Er ist der bedeutendste Konzertort in Schleswig und auch Spielort des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters.
Besuch aus der Lausitz und Rumänien
Offen für alle ist auch das Flensborghus, das unter anderem für seine Jazzkonzerte weit über die Grenzen Flensburgs bekannt ist. Am Samstagabend dominieren die roten Trikots und der Dannebrog, die dänische Flagge. Vereinzelt mischen sich auch Deutschland-Shirts und schwarz-rot-goldene Kopfbedeckungen unter die gut 200 Zuschauer im dicht gefüllten Saal. „Wir erwarten einen deutschen Sieg mit 2:1“, sagt Stefan Brückner aus Cottbus. Brückner ist mit seiner Familie angereist, um seinen Neffen zu unterstützen, der in der Auswahl der Sorben bei der Europeada antritt.
Kurz vor Spielbeginn betritt dann auch noch ein Team in grünen Trikots den Raum. Der FC Pobeda, der die bulgarische Minderheit in Rumänien vertritt, hat in der Nähe sein Quartier aufgeschlagen und guckt sich das deutsch-dänische Spektakel nun als neutraler Beobachter an. Nicht dabei ist heute Abend das Heimteam der dänischen Minderheit. Die Südschleswiger gucken das Spiel in ihrem Teamhotel am Hafen, um vor dem ersten Spiel am Sonntagmoren um 11 Uhr nicht mehr abgelenkt zu werden.
„Unser Mann bei Nagelsmann“
Die ersten Jubelrufe der deutschen Anhänger gehen schnell im wesentlich lauteren Jubel auf der dänischen Seite über, als der Kopfballtreffer von Nico Schlotterbeck annulliert wird. Insgesamt ist die Stimmung sehr konzentriert, aber weitgehend ruhig. „Ich finde es gut, dass hier nicht so viel rumgegrölt wird“, sagt ein Zuschauer. Die Regenunterbrechung in Dortmund stört niemanden, sondern wird als Gelegenheit zum Bierholen oder Smalltalk genutzt. „Unser Mann in Berlin“, sagt eine Frau, als Stefan Seidler vorbeigeht, der für den Südschleswigschen Wählerverband (SSW) im Deutschen Bundestag sitzt. Der SSW hat ebenfalls im Flensborghus sein Hauptquartier.
„Unser Mann in Dortmund“ denkt so mancher immer dann, wenn der deutsche Co-Trainer Mads Buttgereit ins Bild kommt. Buttgereit ist in Dänemark geboren, in Flensburg aufgewachsen und ebenfalls Teil der dänischen Minderheit. Bevor er als Standardtrainer die Ecken und Freistöße der Deutschen Mannschaft einstudierte, war er in gleicher Funktion für die Dänen zuständig. Für den Europeada-Spielplan ist vor allem sein Händchen verantwortlich – er war es, der im Dezember als Europeada-Botschafter die Gruppen ausgelost hat.
Respekt für die Verlierer
Der kurze Gefühlsausbruch nach dem vermeintlichen dänischen Führungstreffer lässt erahnen, welche Party hier noch abgegangen wäre, wenn der Treffer von Joachim Andersen gezählt hätte und Dänemark vielleicht sogar gewonnen hätte. So konnten nur noch die Deutschen zweimal jubeln und die Dänen beiden Mannschaften Respekt zollen.
„Ich bin nicht enttäuscht, wir haben in Ehren verloren“, sagt Hendrik Vestergaard. „Die Deutschen werden anerkennen, dass man verdammt gut sein muss, wenn man Dänemark besiegen will.“